Das ist nicht mehr mein Milljöh

Liebe Xenia, irgendwann in tiefer Nacht, stolperte ich über Deinen Bericht „12 Dinge, mit denen Touris in Berlin ziemlich nerven„. Mir fiel eigentlich nur ein Wort ein: Respektlos.

Klar, das ganze mag vielleicht lustig gemeint sein, aber sollte man sich über die lustig machen, die Tag für Tag Millionen in Deine Stadt bringen, die eigentlich pleite ist?

Ich möchte Dir mal gerne bischen was erzählen. Berlin, das war für mich als ich ein Teenager war mal die Stadt. Quasi die Stadt die niemals schläft.

Berlin war für mich die Stadt mit Menschen mit Herz und Schnautze. Berlin war die Stadt mit Harald Juhnnke und Dieter Hallervorden. Berlin war für mich die Stadt mit der Grenze. Berlin war für mich die Stadt mit dem großen Marathon.

Mein erstes Mal in Berlin, das war kurz vor der Wende. Klassenfahrt. Wir fuhren nach Ost-Berlin, wo ich einen VoPo nach dem Weg fragte, während ein Klassenkamarad vor diesem fast einen Streifen in der Hose bekam. Wir besuchten Didi bei den Wühlmäusen, wir waren im Zoo. Das erste Mal Disco, das erste Mal Musical, das war Berlin.

Das nächste Mal lernte ich Berlin als Autogrammsammler kennen. Redaktionstreffen. Nächtens lief ich mit Fotoausrüstung von Sehendwürdigkeit zu Sehenswürdigkeit und machte Fotos. Und überall pulsierte das Leben.

Wirklich sauber war es nicht, aber sauberer. Die Menschen waren freundlicher. Wenn man etwas machen wollte, musste man nicht Wochen im voraus reservieren um nicht stundenlang an Schlangen anzustehen. Und selbst in den Touristenvierteln, bekam man gutes Essen, für kleinen Preis.

Das erste Mal, wo ich Berlin nicht mehr mochte, war in einem gemeinsamen Urlaub mit meiner Mutter, wo ein jugendlicher schauspielender Bettelgauner meiner Mutter quasi einen Fuffi aus der Tasche stibitste während, ich in Kirche besichtigte, wo sie mangels behindertengerechten Eingang damals nicht reinkam.

Erst wenig später las man darüber, das dies mittlerweile auf den Touristenmeilen gang und gebe sei und die Kinder eigentlich arm dran sind, weil wenn diese kein Geld mitbrachten geschlagen, beschimpft und bedroht wurden.

Für eine Autogrammbörse reisten wir mal auf den letzten Drücker an, Freitags spät Ankunft, Samstag Börse und Heimfahrt. Essen wollten wir in Nikoleiviertel. Meine Mutter liebte in dem Lokal wo wir gerne aßen, die Kalbsleber mit Kartoffelstampf, die Zwiebelringe und angebratenen Apfelscheiben.

Um den Fernsehturm war ein Volk unterwegs. Unangehem. Etwas weiter rangelten sich Migranten mit paar Obdachlosen. Dort Jugendliche untereinander. Dazwischen liefen Touristen herum. Surreal. Man setzte quasi Scheuklappen auf, versuchte nicht nach rechts und links zu gucken und dort hin zukommen, wo man hin wollte.

Meine Mutter schaffte es mal in einen Titelbericht einer Berliner Tageszeitung. Das war zu Knuts Zeiten. Der Eisbär spielte zu gerne im Dreck, wie jedes Kind und nicht gerade aus als wenn er mit Perwoll gewaschen wäre. „Das ist ja ein Braunbär“, sagte meine Mutter. Und am nächsten Tag, bei einer Kanalrundfahrt, kam uns dieser Satz aus der Zeitung wieder entgegen.

Durch ihre Behinderung brauchte meine Mutter immer mal Hilfe. Seltsamerweise, waren es nie die Leute die man vom Aussehen als Einheimische bezeichnen würde, die halfen, eher die die manch einer – auch dort vor Ort – despektierlich und abwertend als Kanacken bezeichnen würde. Seit dem habe ich gegen solche Bewertungen eine Allergie.

Berlin ist auch der Ort meiner größten Niederlage. Ich war deutlich erschlankt. Ich war sehr fit. Ich hatte Lottoglück und einen Startplatz für den Berlinmarathon.

Leider lief vieles nicht so wie es sollte. Meine Mutter kränkelte. Im nachhinein waren es wohl die ersten Zeichen, dessen, was sie später extrem pflegebedürftig machte. Dazu riss ich bei einem Sturz bei Kilometer 5 eine frisch verheilte Verletzung wieder auf und konnte den Marathon nicht beenden. Seit dem hatte ich noch einen Koffer in Berlin.

Ich war danach noch drei Mal in Berlin. Ich hatte von Mal zu Mal das gefühl, das Berlin unfreundlicher, teuerer und unsauberer wurde. Das nur damit zu begründen, das Berlin eigentlich wirtschaftlich am Krückstock geht, lag mir fern.

Orte wo ich gerne hinging schlossen. Sie schlossen nicht weil sie Pleite waren, sie schlossen nicht weil es sich nicht lohnte. Sie schlossen, weil neue Geldgeber da waren, weil das Konzept von rechts nach links gekrempelt wurde und man nach der Neueröffnung noch mehr Geld den unbedarften Touris aus der Tasche ziehen konnte.

Xenia, Schwarzfahrer sind nervig. Egal ob diese mit der BVG oder den NVV fahren, zumal man sich selbst – da man ja brav ein Ticket gekauft hat – dann verarscht fühlt. Allerdings macht es Berlin den Leuten auch leicht. Automaten, die oft genug die Einheimischen nicht verstehen und man dann mit einem „Det kann ich ihnen och nicht jenau sage.“ dumm da steht. Ich weiss schon, warum ich immer Tages- oder Wochentickets genommen habe.

Aha, wenn es irgendwo nach Urin riecht, war es automatisch ein Tourist. Ja, es mag auch unter diesen welche geben, die gerne dem Ruf der Freiheit nachgehen. Aber glauben sie mir, die meisten Touristen sind harmlos. Ich muss es wissen, meine Heimat glaubt auch das Touristen für alles eine Lösung sind.

Meistens hat es aber Gründe wenn sowas schief geht. Eine fehlende Kloinfrastruktur. Oder Klos die nur zu bestimmten Zeiten erreichbar sind, und zwar nur dann wenn der Bahnhof, ein Laden oder was auch immer nebendran ist, geöffnet hat. Und Restaurants sind auch nicht immer die Ideallösung.

Ich hab mal ein Schild gesehen bei einem Lokal, da stand drauf: „Klo nur für unsere Gäste. Wir sind ein Restaurant und kein öffentliches WC.“ Es war, glaube ich sogar in Berlin, wo mir dieses Schild begegnete.

Klar gönne ich Dir Deinen Döner für 6 Euro, so Du ihn heute noch für den Preis bekommst. Wenn ja, würde ich mir Gedanken machen. Nur was etwas abgeht ist das drumherum. Ihr habt tolle Sternelokale, sei es von Tim Raue oder Duc, die ich beide sehr verehre. Angeblich habt ihr auch die Currywurst erfunden – ich wollte mir nach dem Marathon damals eine mit Blattgold und Champus im Adlon gönnen. Ihr habt das schönste Küchenmultikulti für diejenigen die es mögen.

Wenn ich in Urlaub fahre, möchte ich die regionale Küche kennenlernen. Fahr ich an die Nordsee, will ich Fisch oder je nach Region Kohlgerichte. Im Allgäu will in Spatzen. Und in Berlin halt gerne auch gute Berliner Hausmannskost.

Lokale die das anbieten werden immer weniger. Oder sie werden, wie etliche Lokale in und um das Nikolaiviertel zu kleinen Touristenfallen, wo es kleine Portionen für möglichst viel Geld gibt und man sich am Ende des Tages überlegt, ob des die Bemme beim Metzger ums Eck nicht auch getan hätte.

Berlin hat viel zu bieten, aber sind wir doch ehrlich. Wirklich bekannt sind doch nur die klassischen Ziele. Die beiden Zoos, die Museen auf der Museumsinsel, Brandenburger Tor, das Holocaustdenkmal, Check Point Charlie, die verschiedenen Gebäude die sich Dom nennen. Leider kosten die viele dieser Dinge auch richtig Geld.

Dabei hat Berlin auch soviel zu bieten, wo man nicht viel für ausgeben muss. Ich spreche von den Geheimtipps. Den Dingen die man nicht im Reiseführer findet oder bestenfalls als Randnotiz. Wäre für eine Seite, wie die ihre ein Pfund mit dem sie für die Stadt werben könnten.

Und ja Berlin ist dreckig geworden, das hat aber nichts mit Charme zu tun. Wenn ein Mädel aus Hamburgs Reeperbahn zu Besuch käme, würde die freiwillig anfangen zu putzen, auch wenn sie aus dem sogenannten schmutzigen Gewerbe stammt.

Janz ehrlich? Wer sich so hängen lässt, hat sich schon längst aufgegeben, würde dazu manch einer sagen.

Wenn ich bei den Großstädten wählen müsste, ich besuche lieber Hamburg als Berlin. Ne, in Hamburg kann ich auch nicht vom Asphalt essen, aber die Menschen da sind verbindlicher. Das fängt schon mit dem Gruß „Moin“ an, mit dem dann auch alles gesagt ist.

Vielleicht mag es auch daran liegen, das mir das maritime mehr liegt. Das dort einfach mehr Flair in der Luft liegt oder sei es, das ich statt teuer eine Hafenrundfahrt zu buchen auch einfach mit einem HVV Ticket den ganzen Tag mit den Fähren kreuz und quer durch den Hafen fahren kann und alles sehe.

Wahrscheinlich lässt es sich mit dem ollen Vater Zille in Abwandlung am einfachsten Ausdrücken: Berlin, Du bist nicht mehr mein Milljöh. Sorry…

Foto: canva PRO / Beitragsbild-Layout: canva PRO und Norbert Beck

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